Zuerst erschienen im Autonomie Magazin. An English version can be found here.
Die ganze Welt ist im Krisenmodus. Die Aktienkurse fallen. Die Pandemie breitet sich aus. Staaten versuchen notgedrungen mit autoritären Maßnahmen die Kontrolle zu erlangen, während sich ganz deutlich die volle Asozialität der Marktwirtschaft offenbart. So sehr, das feinste Neoliberale nun problemlos von Verstaatlichungen reden um den Imageschaden wett zu machen.
Wir sollen jetzt den Kopf hinhalten und uns mehr oder weniger freiwillige in unsere eigenen, viel zu kleinen, vier Wände einsperren. Flatten the curve (die Kurve verflachen) heißt das, wahlweise zusammengeschrieben mit Hashtag vorne dran, als für die Sozialen Medien optimierte Propaganda. Einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems soll entgegen gewirkt werden, um nicht wie in Italien bestimmen zu müssen wer stirbt und wer nicht. Klar, Kontakte vermeiden, richtig Händewaschen, die Nies- und Hustregeln beachten, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren ist vollkommen sinnvoll und ein kompletter Lockdown macht sogar in einer Situation wie der in Wuhan Sinn, wo sich das Virus schon so massiv verbreitet hatte, dass nur noch das komplette Dichtmachen geholfen hat, um nicht ein Land mit fast 1,4 Milliarden Einwohner ins Chaos zu stürzen.
Es gilt die Ausbreitung zu verlangsamen und deswegen Massenversammlungen zu verhindern. Auch die Geschäfte sollen schließen und nur noch die notwendigste Versorgung am Laufen gehalten werden. Doch damit die Mehrwertabschöpfung und damit das gesamte kapitalistische Weltsystem nicht endgültig zusammenkracht, bleiben die Fabrikhallen offen und Millionen Menschen treten in Deutschland jeden Tag immer noch ihre Jobs an. Hunderte und tausende KollegInnen zusammengepfercht in Büros und Werkshallen, arbeiten, ohne, dass diese Arbeit den jetzt so lebenswichtigen Bereichen zugute kommt. Man erwartet also von uns unser komplettes Sozialleben einzustampfen, während die Regierung weiter die Brutstätten offen hält?
Wer handelt also jetzt verantwortungslos? In den Sozialen Medien denunzieren fleißig Menschen ihre NachbarInnen und Linke treiben das ganze Spiel mit. Statt massiv Forderungen nach Fabrikschließungen, Ersatzleistungen, gesicherten Jobs etc. laut werden zu lassen, wird fleißig mitdenunziert und unhinterfragt die staatliche Propaganda geteilt und weiterverbreitet. Ein Großteil der Linken entledigt sich gerade ihrer gesellschaftlichen Aufgabe. Wir im Kampf gegen das Virus, die Nation vereint, gegen die „Volksschädlinge“. Das macht keine Hoffnung auf eine linke Offensive in der Krise und die benötigen wir dringend, denn wir erinnern uns: wo innerhalb einer Krise die linke Platz lässt, macht sich die Reaktion breit und die wird brutal sein.
Die ganze Nation schreit panisch stay at home und social distancing, weil sonst unsere Alten reihenweise abkratzen werden. Soziale Distanzierung: ein Mantra des Neoliberalismus, der jede Solidarität und Anteilnahme in der Gesellschaft zerstört hat. Wie soll das eigentlich in einem Flüchtlingsheim funktionieren? Achja, richtig: Indem man den eigentlich Zweck solcher Heime endlich ungeniert zeigt. Sie sind Internierungslager, nichts anderes. Ebenso ist es in den Knästen, diesem widerwärtigen Rachesystem, dass alle versucht zu domestizieren, die sich die normale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht leisten können oder wollen. Die Krise verschärft die Ausgrenzung und die Denunziation gegen alle, die nicht der Göttergestalt eines deutschen Ordnungsbürgers entsprechen. Dann eben stay at home, wo die Depressionen so richtig Überhand nehmen. Wo die Obdachlosen hinkommen die jetzt abtransportiert werden? Man weiß es gar nicht so richtig, wie in einem dystopischen Science-Fiction.
Wir müssen eben die Alten retten. Dafür muss jede/r Opfer bringen. Das ist schon ziemlich schamlos. Die Alten, die in den Heimen dahinvegetieren, weil sich keiner mit ihnen abgeben will. Jede/r der/die nicht mehr Teil der Wertschöpfungskette sein kann, wird einfach gnadenlos ausgestoßen und nun will man sie retten. Armutsrenten, gesellschaftlicher Ausschluss etc.. Dass die Sorge um die Alten Heuchelei ist, liegt auf der Hand. Diejenigen, die das gesamte Gesundheits- und Fürsorgesystem heruntergewirtschaftet und privatisiert haben, wollen uns einen Bären aufbinden. Die Alten sind in unserer Gesellschaft immer schon nur lebende Tote gewesen. Ihr Schicksal war längst besiegelt. Wer sie wirklich retten will, setzt nicht nur auf Massentests (was sich als am wirksamsten erwiesen hat), sondern sollte anfangen endlich das gesamte menschenfeindliche System der Verwertbarkeit zu bekämpfen. Wenn wir es zulassen, dass die Herrschenden mit ihrem verlogenen Gerede den Ausnahmezustand zur Regel machen, tragen wir alle Mitschuld an einer Situation, in der jegliche Opposition verschwinden wird. Jede/r die/der dann widerspricht, wird ungehindert zum Feind erklärt und gejagt werden können. Das hilft am Ende weder den Alten, noch irgendjemandem anderen. Der Klassenkampf von oben braucht endlich konsequente Antworten der ArbeiterInnenklasse, wenn sie nicht schon wieder die gesamten Krisenschulden bezahlen soll.
Von: Vidar Lindström