Wir impfen niemanden! oder wie die deutsche Linke ein weiteres Mal ihre Unfähigkeit unter Beweis stellt, adäquat auf gesellschaftliche Prozesse zu reagieren – Text zu den Corona-Protesten und der „linken“ Reaktion
In fast allen deutschen Großstädten geistert beinah seit Beginn der Pandemie ein breites Sammelsurium an EsoterikerInnen, KleinbürgerInnen, VerschwörungstheoretikerInnen, Nazis, aber auch einfach aus welchen Gründen auch immer gegenüber Corona-Maßnahmen und/oder Impfung skeptischen Leuten herum. Die – unbedingt scharf zu kritisierende – Tatsache, dass bei diesen Protesten auch bekannte Neonazis mitmarschieren, genügt großen Teilen der Linken, den Protest als Ganzes als rechten Protest abzutun und – zu oft peinlich besuchte – Gegenproteste zu organisieren. Klar muss für jede sich links nennende Person sein: Unter keinen Umständen sollte gemeinsame Sache mit dem Nazi-Pack gemacht werden! Der einzig legitime Kontakt zu FaschistInnen liegt in der direkten körperlichen Auseinandersetzung! Wo es geht, gilt es, rechter Ideologie entgegenzutreten! Die Reaktion einiger Antifa-Gruppen und bürgerlicher Anti-Nazi-Verbände bzgl. der Corona-Proteste bewirkt leider – mindestens in Nürnberg – das absolute Gegenteil. 1. ist es ein Zeichen der Schwäche, mit 50 Leuten gegen 5.000 zu demonstrieren. In der Öffentlichkeit lässt man so den Eindruck entstehen, man hätte dieser Bewegung nichts entgegenzusetzen. 2. treibt man so die nicht faschistischen Kräfte in dieser Bewegung – die in den meisten Städten den überwiegenden Großteil ausmachen – den Nazis in die Arme. Die fühlen sich durch dieses von der bürgerlichen Presse und dem linken Gegenprotest verbreitete Stigma „Ihr seid alles Nazis!“ diskreditiert – und das zu Recht! Fakt ist: Diese Bewegung ist mit Sicherheit nicht die progressivste, doch sind (mindestens in Nürnberg und sehr wahrscheinlich in den meisten anderen Städten auch) nicht alle der TeilnehmerInnen rechts – der Nazi-Anteil dürfte in vielen Fällen verschwindend gering sein. Leute, die sich einmal als links verstanden oder zumindest offen waren für linke Inhalte, werden sich durch die Blockade-Versuche und die Nazi-Stigmatisierung mit Sicherheit nicht von den richtigen Ideen überzeugen lassen, sondern wenden sich – im schlimmsten Fall – doch eher rechten Antworten zu.
Die falscheste aller Reaktionen ist unseres Erachtens, dieser breiten Bewegung in Gänze mit Feindseligkeit zu begegnen und sich damit zum Büttel der Staatsmacht zu machen. Klar muss sein:
– individuelle Freiheit kann nicht per se über kollektiver Gesundheit stehen!
– mit Nazis zu marschieren verbietet sich für jedeN LinkeN!
– dem bürgerlichen Staat ein Urvertrauen entgegenzubringen, verbietet sich für jedeN LinkeN!
Viele Leute sind enttäuscht von der Linken, ob ihres Verhaltens gegenüber der staatlichen Corona-Politik. Vierlerorts entstand der Eindruck, die Linke sei zum staatstreuen Handlanger verkommen, angesichts der Untätigkeit gegenüber absolut schwachsinnigen Maßnahmen wie Kontaktverboten, Ausgangssperren etc. Damit haben wir uns einerseits unglaubwürdig gemacht in unserem viel beschworenen Credo, diesen Staat bekämpfen zu wollen und uns damit unserer eigenen Kampfgrundlage beraubt, andererseits haben wir es (mal wieder) verpasst auf gesellschaftliche Entwicklungen schnell und adäquat zu reagieren.
Der – verglichen mit den Blockade-Versuchen und dem „Wir impfen euch Alle“-Gebrülle – zumindest richtigere Ansatz ist unseres Erachtens die richtigen Positionen in diese Bewegung hineinzutragen und die falschen Position als das zu entlarven, was sie sind: (klein-)bürgerlicher Individualismus und gefährliche Falschinformation. Aber auch die durchaus berechtigte Skepsis gegenüber der staatlichen Corona-Politik aufzugreifen und eine vernünftige, linke Erzählung zu etablieren – ohne sich anzubiedern oder die eigenen Inhalte zu verwässern.
Freilich sind diese Position und die daraus folgenden Schlüsse nicht blind auf andere Städte zu übertragen. In den verschiedenen Städten gestalten sich Konzeption und Konstellation der Corona-Proteste sehr unterschiedlich: In einigen Städten sind Nazis treibende Kräfte, in anderen Bürgis, in wieder anderen hat sich die Bewegung bereits gespalten. Unsere Analyse konzentriert sich auf die Situation in Nürnberg, die sich in ähnlicher Ausgestaltung sicher auch andernorts feststellen lässt.
Um aber nicht immer nur zu meckern, was „die Linke“ so Alles falsch macht, versuchen wir uns derzeit an einer Alternativstrategie und verteilten einen Flyer (siehe unten) auf den letzten Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Da wir recht wenig Ahnung hatten von der Zusammensetzung dieser Demos, waren wir sehr gespannt auf die Reaktionen. Diese sind sehr unterschiedlich ausgefallen: Gerade seitens der OrdnerInnen (Team Menschenrechte) schlug uns erstmal der Vorwurf entgegen, als Antifa-AktivistInnen bezahlt zu werden (wie blöd muss Mensch eigentlich sein, um so einen Schwachsinn zu glauben?!?) und zu versuchen, die Bewegung zu infiltrieren; auch einige BesucherInnen der Proteste begegneten uns mit Feindseligkeit; wieder andere nahmen die Flugblätter gerne an und kommentierten sie teilweise sogar positiv; in den entsprechenden Chat-Gruppen entbrandeten kontroverse Diskussionen.
Diese Verteilungen sind fraglos sehr unangenehm – doch eines der Hauptprobleme der Linken ist, dass sie meint, Politik machen könne immer gemütlich sein. Den Rechten das Feld zu überlasten, wird uns längerfristig teuer zu stehen kommen. Leute, Politik machen heißt streiten und sich nicht im kuschligen Szene-Pool, wo alle (vermeintlich) gleich denken, verstecken! Kontakt zu den Massen – sei es im Betrieb, in der Uni, Fußgängerzone oder auf den Corona-Protesten – ist nicht immer gemütlich, aber notwendig! Also lasst uns kreativ werden; versuchen, in Kontakt zu treten mit den noch zu rettenden Teilen dieser Bewegung! Tragen wir die richtigen Inhalte in die Gesellschaft!
Hier noch das Flugblatt, das wir auf den Demonstrationen verteilten:
als Text:
Linke Einschätzung zu Corona und den Maßnahmen
Seit zwei Jahren greift die Corona-Pandemie um sich. Mit den pandemiebezogenen Maßnahmen staatlicherseits kam eine breite Protestbewegung auf. Große Teile der Linken übten keine oder zu zahme Kritik an den Maßnahmen und verurteilte die Protestbewegung als rein rechte Erscheinung, weil sich in vielen Städten auch bekannte Neonazis an den Demonstrationen beteiligten. Richtigerweise wurde gefordert, nicht gemeinsam mit Nazis zu demonstrieren. Der Faschismus ist der schlimmste Feind der Freiheit! Nicht jede Maßnahmenkritik muss also gleich rechts sein, nicht jedeR KritikerIn gemeinsame Sache mit Nazis machen. Es existiert nämlich auch – oder vor allem – aus linker Sicht durchaus berechtigte Kritik an der staatlichen Corona-Politik. Gleichzeitig gilt es festzustellen, dass auch das Covid-Virus existiert und prinzipiell Schutzmaßnahmen erfordert!
Natürlich lügt, betrügt, verdreht und vertuscht der deutsche Staat – das war vor Corona so und wird auch nach der Pandemie weiter so bleiben. Unsere Gesundheit kümmert den Staat genau so weit, wie sie die Profite der Großkonzerne und das Fortbestehen des Systems nicht gefährdet. Das heißt, dass dieses System und sein Vertreter die Bundesregierung ein Interesse daran haben, uns so gesund zu halten, dass wir weiter arbeiten und damit Profit erwirtschaften können – aber auch nicht mehr. Vor diesem Hintergrund ist ihre Corona-Politik zu beleuchten. Das ist der Grund dafür, dass kurzerhand Kunst, Kultur, private Treffen und eigentlich Alles, was uns in unserer Freizeit Freude bereitet, verboten wurde, während Alles dafür getan wurde, die Produktion der Großkonzerne weiter laufen zu lassen (die ihre Profite teils sogar noch steigern konnten) und damit eine Eindämmung des Virus zu behindern. Gleichzeitig mussten wir komplett schwachsinnige – und gefährliche – Maßnahmen wie u. a. Ausgangssperren hinnehmen. Große Teile der Gesellschaft wurden mit ihren Problemen allein gelassen, so Wirte (und andere Kleinunternehmer), ärmere Leute, Häftlinge, Jugendliche, Kulturschaffende und -genießende, Heiminsassen oder Geflüchtete. Gleichzeitig gab es Hilfen in 12-stelliger Höhe (!) für Großkonzerne wie bspw. die Lufthansa, die trotzdem fröhlich weiterhin Dividenden ausschütteten. Diese „Hilfen“ flossen also oftmals direkt in die Taschen der Aktionäre. Geld, das wir nun wieder reinarbeiten müssen, denn durch die Hyperinflation steigen die Preise, während die Lohnniveaus stagnieren.
Der Staat gibt vor, Alles gegen die Pandemie zu unternehmen, doch er erlässt hauptsächlich Maßnahmen, die nur der Normalbevölkerung weh tun – am meisten den ärmsten unter ihnen. So bringt es unser Staat fertig, den vorher schon begonnenen Ausverkauf des Gesundheitssystems selbst während einer Pandemie voranzutreiben. Krankenhäuser werden geschlossen oder privatisiert, Fallpauschalen unterwerfen selbst diesen Bereich der Profitlogik, PflegerInnen sind überlastet und unterbezahlt.
Und auch beim Thema Impfen bekleckern sich die Herrschenden nicht gerade mit Ruhm. Impfpatente werden nicht freigegeben, was zigtausendfachem Mord gleichkommt und die Eindämmung der Pandemie verhindert. Gleichzeitig wird die Impfung als die segenbringende Lösung verkauft, die sie offensichtlich (noch) nicht ist – alles garniert mit zu oft unlogischen Regeln (so zählt über Nacht die Johnsson-Impfung nicht mehr und der Genesenenstatus hält nur noch drei Monate – außer für Bundestagsabgeordnete, die logische Alternative der Tests scheint überhaupt nichts mehr wert zu sein). Es ist zwar unseres Erachtens sehr unwahrscheinlich, dass die Impfung ernsthaft gesundheitsgefährdend ist, doch ist es ein Unding, die – aus welchen Gründen auch immer – Ungeimpften zum Sündenbock zu stilisieren. Schuld an dieser Krise tragen nicht die Ungeimpften, sondern dieses System, das sehr viele Verlierer erzeugt und nur ganz wenige Gewinner!
Es ist nach wie vor unbedingt notwendig, gegen die Missstände in unserer Welt aufzustehen! Die meisten dieser Missstände existierten bereits vor der Pandemie – Krieg, Armut, Lügen, Desinformation, Repression, Ausbeutung, Unterdrückung – und werden auch über sie hinaus existieren. Die Folgen der Pandemie und der Maßnahmen treffen uns alle hart, doch die schlimmsten Ungerechtigkeiten gab es schon vorher. Klar muss aber auch sein, dass es einer gesellschaftlichen Reaktion auf dieses Virus bedarf, was auch Einschränkungen beinhalten kann. Individuelle Freiheit darf nicht per se über die kollektive Gesundheit gestellt werden! Die Antworten, die uns der rechte Populismus und die Esoterik bieten, sind zu einfach und greifen zu kurz. Es braucht eine linke, antikapitalistische Perspektive, um die Freiheit aller Menschen erkämpfen zu können. Frei können die Menschen aber nur im solidarischen Verbund sein, niemals als bloße Individuen. Daher kämpfen wir für eine solidarische Gesellschaft, in der die Produktion, die Forschung, die Gesundheitsversorgung, einfach Alles nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten Aller organisiert sind. In der basisdemokratisch entschieden wird, was wie produziert wird. In der nicht individualistisch zum Nutzen weniger, sondern kollektiv zum Nutzen Aller gehandelt wird.
Prolos Nürnberg